HR Giger / Martin Schwarz – Im Diesseits der Lebewesen
Ein Bilderbogen mit 7 Gemeinschaftswerken

 

Eine mehr oder weniger aberwitzige Perspektive mit übermalten und barock angeordneten Fotografien aus illustrierten Zeitschriften.


Offsetdruck, beidseitig, 46 x 66 cm, gerillt, gefaltet
EURO 10.–
Erhältlich beim EigenArt Verlag

Ausstellung Martin Schwarz im Museum HR Giger
12. April bis 28. September 2003
Ansprache zur Vernissage von Ulrich Knellwolf

 
Ulrich Knellwolf
Ansprache an der Vernissage der Ausstellung 'Im Diesseits der Lebewesen'
von Martin Schwarz,
am 12. April 2003 in der Galerie des Museum HR Giger,
im Château Saint Germain in Gruyères

Meine Damen und Herren,
Man lässt an einer Vernissage nicht ungestraft einen Theologen reden. Schon gar nicht an der Vernissage einer Ausstellung mit dem Titel 'Im Diesseits der Lebewesen'. Sowas ist für unsereinen ein gefundenes Fressen. Dabei muss es sich der Maler gefallen lassen, dass er vom Theologen eventuell anders interpretiert wird, als er sich selber versteht. Solches sich gefallen Lassen braucht Demut. Es ist die Demut des Schöpfers. Seit Gott seine Welt hergestellt hat, kommt jeder Dreikäsehoch, der noch nicht trocken hinter den Ohren ist, und weiss, wie man es besser hätte machen können, sollen, müssen. Eventuell anders interpretieren will jedoch hier nicht heissen: besser. Aber eben anders - ohne Anspruch auf Unfehlbarkeit.
Martin Schwarz ist selber Schuld, wenn es ihm so geht. Er provoziert Interpretation. Denn seine Malerei ist stark literarisch. Nicht zufällig spielt das Buch unter seinen Objekten eine Hauptrolle. Auch wenn einem die Peinture Eindruck macht, geht es bei ihm nicht in erster Linie um die Peinture. Es geht um ein Sehen, das in Worte gefasst werden soll, weil es bedacht werden will.
Meistens scheitert das. So einfach lässt sich das von und in den Bildern Gesehene nicht in Worte fassen. Sonst würde Martin Schwarz wahrscheinlich schreiben statt malen. Er schreibt aber malend und, typischerweise, collagierend. Weil es zu komplex ist, das Gesehene in Worte zu fassen, obwohl er malend dazu auffordert, es zu versuchen. Und schliesslich soll mindestens das Scheitern des in Worte Fassens angesichts der Bilder in Worte gefasst und dadurch die Malerei gerechtfertigt werden.
Was malt und collagiert Martin Schwarz? Zum Beispiel Flugzeuge, die halbwegs Vögel sind.
Flugzeuge sind keine Vögel. Aber sie werden Vögel genannt, weil sie, ähnlich wie Vögel, fliegen, wenn auch ganz anders.
Ähnlichkeit und Unähnlichkeit fügt Martin Schwarz zusammen - und es entsteht ein Vogelflugzeug oder ein Flugzeugvogel.
Zusammenfügung dessen, was ähnlich und zugleich unähnlich ist, nennt man, wo es in Gedanken, also unsichtbar jedoch denkbar geschieht, eine Metapher.
Für die Metapher reden die Dinge nicht nur von sich, sondern auch noch von etwas anderem. Das Flugzeug vom Vogel, der Vogel vom Flugzeug. Diese Rückkopplung ist ein Charakterzug der Metapher. Sie ist nie eine Einbahnstrasse. Die Einbahnstrasse wäre die Allegorie.
Die Rückkopplung der Metapher macht Martin Schwarz sichtbar. Damit ist sein Bild keine Metapher mehr, sondern ein Bild von der Theorie der Metapher. Es ist gemalte Metaphorologie. Dazu eignet sich das Bild, jedenfalls im Fall der Metapher, mit seinem Neben- und Ineinander besser als das Wort mit seinem Nacheinander.
Martin Schwarz stellt aus in der Galerie des Museums HR Giger und zeigt dabei auch Gemeinschaftswerke mit HR Giger. Typisch, dass er im Rahmen eines andern auftritt. Er malt ja auch in Bildern anderer Maler. Martin Schwarz ist malerisch auf den ersten Blick das, was man in der Sprache der Kriminalisten einen Trittbrettfahrer nennt. Er zecht, mit einem Lieblingsausdruck Ernst Blochs gesagt, auf fremde Kreide.
Vom gewöhnlichen Trittbrettfahrer unterscheidet ihn freilich, dass er seine Trittbrettfahrerei deklariert. Bei Licht besehen zechen wir ja alle auf fremde Kreide, tun aber so, als täten wir's nicht. Martin Schwarz hingegen gibt es nicht nur zu, er kehrt es so deutlich als möglich heraus - und lehrt uns damit, dass niemand von uns mit dem Anfang anfängt, wir vielmehr immer Erben sind.
Martin Schwarz re-agiert also. Damit stellt er sich gegen die Torheit des Originalgenies. Keiner erfindet die Kunst oder sonst etwas neu und aus dem Nichts. Wir stehen alleweil auf den Schultern derer, die vor uns waren.
Jedoch ist zu fragen, ob die friedliche Metapher vom Stehen auf den Schultern der Vorangegangenen die Wahrheit trifft. Ist Geschichte eine harmonische Entwicklung? Und ist Bildung dankbare Aufnahme und schöpferische Weiterentwicklung von Traditionen? Ich glaub's nicht. Und Martin Schwarz ist mir ein Zeuge für meinen Unglauben in dieser Hinsicht.
Nehmen wir sein Bild nach van Goghs Selbstbildnis. Ich zweifle nicht daran, dass er es am liebsten über das Original von van Goghs Selbstbildnis gemalt hätte. Damit hätte er van Goghs Bild zerstört und im Zerstören zugleich aufbewahrt. Am besten sagen wir: er hätte es malend verdaut.
Van Gogh ist, was sein Selbstbildnis betrifft, Zeuger und Gebärerin, Vater und Mutter zugleich. Die Übermalung ist Verwendung, Verbrauch, Ermordung, Verzehrung und Verdauung der Väter und Mütter. Kannibalismus, Menschenfresserei liegt jeglicher Geschichte zugrunde. Die Harmonie des humanistischen Bildungsideals ist eine weltfremd schönfärberische Lüge.
Martin Schwarz malt die Widerlegung dieser Lüge meistens fast lieblich, haarscharf der Betulichkeit entlang - unaggressiv und unblutig.. Also ironisch. Er spielt in gespielt harmloser Weise das Lied vom Auffressen der Eltern durch die Kinder. Und natürlich gehört dazu, dass die Kinder eines Tages selbst Eltern sind und Kinder haben. Geschichte heisst: Das Diesseits der Lebewesen ist geprägt von Menschenfresserei.
Wir glauben es kaum, weil wir ihn mit fürchterlichen Scheuklappen lesen, aber davon hat in der Literatur weit und breit keiner so unheimlich geschrieben wie Jeremias Gotthelf, den wir mit unserem beschränkten Horizont zum Lebkuchenbäcker machen. Er ertrug das schreckliche Geschichtsgesetz der Menschenfresserei nur im Hinblick auf das Abendmahl, das uns als Kannibalen definiert und uns den Schöpfer selbst zu essen und zu trinken gibt, wodurch dieser das Gesetz des Fressens und Gefressenwerdens in Erfüllung des Gesetzes der Liebe bricht.
Der Titel der Ausstellung ruft nach ergänzender Entgegensetzung. Denn wer 'Diesseits' sagt, provoziert mit dem Wort selbst den Gedanken ans Jenseits. Nur angesichts des Jenseits ist das Diesseits diesseitig. Wir aber sind neugierig und wollen hinter jede Wand schauen.
Wie könnte die Entgegensetzung von 'Im Diesseits der Lebenswesen' lauten? Am entgegengesetztesten so: "Im Jenseits des Todesunwesens".
Nun ist aber erst recht vorauszusetzen,, dass Martin Schwarz Ironie im Sinn hat, wenn er einen Titel so überzogen feierlich daherkommen lässt. Dass er, wie malerisch so auch sprachlich übermalt. Und das hiesse dann, dass im Diesseits der Lebewesen keineswegs nur das Leben lebendig und das Jenseits des Todesunwesens nicht nur jenseitig ist. Dass der Maler vielmehr den Finger auf die Anwesenheit des Todesunwesens im Diesseits der Lebewesen hält. Schon die Entstehung vieler seiner Bilder als Verdauung von Bildern anderer zeigt ja, dass es sich um ein stark von dem Todesunwesen geprägtes diesseitiges Lebewesen handelt. Vorhin nannte ich es Menschenfresserei.
Und das Jenseits, es wäre dann das Jenseits des im Diesseits die Lebewesen verschlingenden Todesunwesens, also ein diesseitig werdendes Lebewesen, in dem das Leben nicht mehr vom Todesunwesen geprägt wäre. Ich bin versucht, von einer christologischen Dimension dieser Bilder zu reden.
Grund zur Hoffnung auf das diesseitig werdende Lebewesen geben jedenfalls wiederum die Bilder selbst. Dann nämlich, wenn sie gelingen. Also wenn im van Gogh-Bild die Kommunikation zwischen van Gogh und Martin Schwarz nicht in Mord und Totschlag endet, sondern so, dass Vincent van Gogh von Martin Schwarz und Martin Schwarz von Vincent van Gogh so verstanden ist, dass van Gogh sich willig hergibt und Martin Schwarz dankbar nimmt um wieder herzugeben, an uns Beschauer. Das kann nie ganz klappen, solang das Lebewesen noch nicht ganz diesseitig ist. Aber Anzeichen dafür, dass es werden will, sind die Bilder von Martin Schwarz.