Peter André Bloch, Sommer 1994
Martin Schwarz ist - nebst seinem malerischen, zeichnerischen und
bildnerischen Werk einer der einfallsreichsten Montage-Künstler
der Gegenwart. Er liebt es, Gedanken und Objekte in unendlichen Variationsreihen
umzusetzen und liebevoll zu verfremden in immer neuen Kontexten, Perspektiven
und Veränderungen der Raum-Zeit-Dimensionen. Mit graphischer
Perfektion gestaltet er seine skurril-grotesken Phantasien zu immer
neuen Traumwelten um, in spielerisch-humorvoller Freude, aber auch
in traumatischer Angst vor dem vermeintlich Endgültigen, Abgeschlossenen.
Wer kennt nicht seine grossartigen Postkartenserien l5 "Imaginäre
Domlandschaften" (Edition Kölnischer Kunstverein l981),
in denen er in 60 Variationen den Kölner Dom in immer neue Wirklichkeiten
taucht, oder seine Verzauberungen des Matterhorns in der Ausstellung
"Sonderfall? Die Schweiz zwischen Réduit und Europa"
(im Schweizerischen Landesmuseum Zürich 1992) oder die magische
Vereinigung von sich grundsätzlich fremden, aber verwandten KuIturphänomenen
in «Exotische Welten - Europäische Phantasien» (Württembergischer
Kunstverein Stuttgart 1987)?
Zum 150. Geburtstag von Friedrich Nietzsche haben wir diese so bestechende
künstlerische Begabung eingeladen, nach mehreren Aufenthalten
im Nietzsche-Haus, diesen Bau Nietzsche nannte ihn "sein
Versteck" - und die ihm so vertraute Oberengediner Landschaft
zyklisch mit einigen hier entstandenen Gedankenbildern Nietzsches
zu verbinden, zu hinterfragen und sinnenhaft umzugestalten, mit der
ihm eigenen grossen Belesenheit und tiefen Kenntnis von Nietzsches
vielschichtigen ästhetischen, philosophischen, dichterischen,
historischen und sozialen Selbstauseinandersetzungen. In einer purzelbaumartig
erfrischenden, oft puzzlehaft wirkenden Kombination von Technik und
Einfall verschlingen sich Vorstellungskraft und Wirklichkeit, Spiel
und tiefer Ernst zu neuen Bildrealitäten. - Es lohnt sich, diese
mit Nietzsches zitierten Gedanken zu konfrontieren, um - gegenüber
einer in sich vollendeten Landschaft - sich der Frage nach der Darstellbarkeit
und Erhaltbarkeit von Wirklichkeit zu stellen - in der Herausforderung
gerade durch deren Verwandlung in der Phantasie, wo sie ja erst eigentlich
zu existieren beginnt, in der Reaktion eines jeden Betrachters gegenüber
dem, was man gemeinhin als WUNDERBAR oder VOLLKOMMEN oder WAHR bezeichnet.
Angesichts der ihm immer vertrauter werdenden Engadiner Landschaft
rief Nietzsche aus: "Das Oberengadin, meine Landschaft, so fern
vom Leben, so metaphysisch." War diese Aussage vielleicht der
Ansatz zu Martin Schwarz' Versuch, anhand dieser uns bekannten Landschaft
immer neue Perspektiven des Sehens und Begreifens aufzureissen und
ungewöhnliche Durchblicke zu vermitteln in diesen faszinierenden
Kombinationen von Ansichten und Aussichten, von Innensicht und Einsicht?